
15/06/2025 0 Kommentare
„Fest der Menschen“ auf Fehmarn: Ein Tag der Begegnung, der Mut macht und verbindet
„Fest der Menschen“ auf Fehmarn: Ein Tag der Begegnung, der Mut macht und verbindet
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„Fest der Menschen“ auf Fehmarn: Ein Tag der Begegnung, der Mut macht und verbindet
Es war ein Fest, das unter die Haut ging: Am Sonntag, dem 15. Juni, verwandelten sich der Vorplatz und das Gemeindehaus der St.-Nikolai-Kirche in Burg für mehrere Stunden in einen Ort der Begegnung, des Dialogs und der gelebten Solidarität. Zahlreiche Gäste – Einheimische, Geflüchtete, Ehrenamtliche und Urlaubsgäste – folgten der Einladung des Arbeitskreises „Sicherer Hafen Fehmarn“ zum „Fest der Menschen“. Bei strahlendem Sonnenschein, mitreißender Musik und berührenden Momenten wurde deutlich: Auf dieser Insel ist Willkommenskultur kein leeres Wort, sondern tägliche Praxis.
„Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt.“ – Eine klare Haltung
Propst i.R. Matthias Wiechmann, Sprecher des Arbeitskreises, begrüßte die Anwesenden mit Worten, die den Geist der Veranstaltung präzise trafen: „Unser Fest soll Verständigung zwischen Einheimischen und Geflüchteten fördern – damit der Zusammenhalt wächst.“ Der Satz von Ex-Bischof Heinrich Bedford-Strohm, den Wiechmann zitierte – „Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt.“ –, wurde zum Leitmotiv des Tages.
Besonders erfreut zeigte sich Wiechmann über die Anwesenheit des Jugendparlaments, das die Initiative nachdrücklich unterstützt. Jan Kuhnert, einer der jungen Vertreter, ergriff spontan das Mikrofon: „Eigentlich wollte ich eine Rede vorbereiten, aber ‚Fest der Menschen‘ – das ist so viel mehr als Worte. Alle Menschen sind gleich. Das ist die Botschaft, für die wir heute stehen.“ Seine Kollegin Tamara Lenz nickte zustimmend. Dass gerade junge Menschen sich so deutlich positionieren, machte deutlich: Die Frage, wie wir mit Schutzsuchenden umgehen, ist keine Generationenfrage, sondern eine der Menschlichkeit.
Erfolgsgeschichten, die Mut machen
Pastorin Dr. Susanne Platzhoff ging in ihrer Ansprache auf die besondere Bedeutung des Plattdeutschen ein: „Im Plattdeutschen gibt es kein Wort für ‚Flüchtlinge‘. Das sind einfach Lütte, Olle, Frohns, Mahns, Kinners – also Menschen, so wie Du.“ Diese sprachliche Nuance, so Platzhoff, sei mehr als eine Kuriosität: „Sie erinnert uns daran, dass wir alle gleich sind – ganz im Sinne der biblischen Botschaft, dass Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat.“
Dann wurde es persönlich: Die Pastorin erzählte von Tayib, dem ersten Schutzsuchenden, den die Gemeinde vor Jahren aufgenommen hatte. Heute studiert er Informatik in Lübeck. Sie berichtete von der Familie von Imam Hindrin, die sich ein neues Leben aufgebaut hat, und von Osman, der gerade seinen Führerschein gemacht hat, sowie Younis, der einen Ausbildungsvertrag als Altenpfleger unterschrieben hat. „Diese Geschichten zeigen: Integration gelingt, wenn wir offen sind und Menschen Chancen geben“, betonte Platzhoff unter Applaus.
Kinderprogramm mit Tiefgang
Auch für Kinder war das Fest ein besonderer Ort der Erfahrung. Britta Ehlers und ihre Tochter Chiara Freiberg standen am „Kindertisch“ bereit. Dort ging es kreativ und gleichzeitig tiefgründig zu: Die Kinder konnten ihren Handabdruck malen, ausschneiden und mit Glitzersteinen gestalten – ein sichtbares Zeichen für die Einzigartigkeit und Kostbarkeit eines jeden Menschenlebens.
Erzählerin Lea Liepe fand einen kindgerechten, biblischen Zugang zum Thema „Helfen und einander beistehen“. Sie erzählte die außergewöhnliche Geschichte von vier Freunden, die ihren gehbehinderten Freund zu Jesus brachten – und ihm buchstäblich aufs Dach stiegen. In einer Erzählpause konnten die Kinder eigene Ideen und Lösungsvorschläge einbringen. So wurde auch der Jüngsten vermittelt: Solidarität beginnt im Kleinen.
Kulinarische Brücken zwischen Kulturen
Ein Fest lebt von gemeinsamen Mahlzeiten – und so wurden auch kulinarisch Brücken gebaut. Das Restaurant „Doppeleiche“ spendierte duftende Pizzen, die von Damiano Durante persönlich serviert wurden. Das Hofcafé Albertsdorf steuerte hausgebackene Kuchen bei. Und dann gab es noch eine Überraschung: Resma Jangeer hatte „Gischnisch“ vorbereitet – traditionelle kurdische Pizzen, die bei den Gästen großen Anklang fanden. „Das ist gelebte Gastfreundschaft“, freute sich Pastorin Platzhoff.
Propst Wiechmann nutzte die Gelegenheit, um allen Unterstützern zu danken – namentlich Küster Stoelk, der den Platz hergerichtet hatte, und Familie Jens, die das Fest finanziell ermöglichte. „All das ist keine Selbstverständlichkeit“, betonte er.
Musik, die unter die Haut geht
Musikalisch begleitete der Landesjugendposaunenchor der Nordkirche unter Leitung von Werner Petersen die Veranstaltung. Die jungen Musikerinnen und Musiker hatten eigentlich nur ein Probenwochenende auf Fehmarn geplant – dass sie spontan beim „Fest der Menschen“ mitspielten, war ein glücklicher Zufall. Zwischen den kraftvollen Klängen der Blechbläser und gemeinsamen Liedern wie „Wo Menschen sich vergessen“ entstand eine festliche Atmosphäre, die viele Gäste sichtlich bewegte.
„Ich bin richtig erfüllt“, gestand Wiechmann später. „Dass ihr die alten Choräle gespielt habt – das ist Balsam für die Seele eines altgewordenen Pastors.“
Seenotrettung: Ein Kampf gegen das Vergessen
Ein Höhepunkt des Nachmittags war der Vortrag von Kapitän Ingo Werth von der Organisation „Rescue Ship“. Erst vor wenigen Tagen von einem Rettungseinsatz im Mittelmeer zurückgekehrt, berichtete er mit eindringlichen Worten und einem Kurzfilm über die dramatische Lage an Europas Außengrenzen.
Die Bilder zeigten, wie sein Team ein völlig überladenes Eisenboot mit 39 Menschen an Bord entdeckte – darunter eine Schwangere und ein Kind. „Diese Boote sind lebensgefährlich“, erklärte Werth. „Sie sind aus alten Stahlplatten zusammengeschweißt und gehen unter wie Steine, sobald Wasser eindringt.“ Innerhalb von Minuten könne ein Boot verschwinden – ohne Spur.
Doch die Realität der Seenotrettung sei geprägt von politischem Versagen: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex habe im vergangenen Jahr Hunderte Boote an libysche Milizen verraten, die Geflüchtete foltern und erpressen. „Das ist ein Verbrechen“, sagte Werth mit bebender Stimme.
Dann verlas er einen anonymen Hassbrief, den sein Team kürzlich erhalten hatte – voller rassistischer Hetze und Morddrohungen. „Solche Briefe zeigen, welchem Hass wir ausgesetzt sind. Aber sie machen uns auch klar: Wir dürfen nicht schweigen.“
Kirchenasyl und interreligiöser Dialog: St. Nikolai als Ort der Offenheit
Die St.-Nikolai-Gemeinde setzt seit Jahren auf praktische Nächstenliebe. Pastorin Platzhoff erinnerte an das Kirchenasyl für Schutzsuchende und die Entscheidung, muslimischen Gläubigen Raum für Freitagsgebete zu geben. „Anfangs gab es Bedenken. Aber heute sind wir froh über diese Entscheidung – unser Gemeindeleben ist dadurch reicher geworden.“
Beim gemeinsamen Fastenbrechen während des Ramadans oder bei interreligiösen Begegnungen hätten sich neue Freundschaften entwickelt. „Nächstenliebe ist kein Lippenbekenntnis“, betonte Platzhoff. „Sie muss im Handeln sichtbar werden. Sonst ist unser Christentum nur Folklore.“
Ein Fest, das nachwirkt
Gegen Abend endete das Fest mit einem Reisesegen – doch die Gespräche am Buffet und zwischen den Stuhlreihen gingen noch lange weiter. Viele Gäste nutzten die Gelegenheit, sich mit Geflüchteten auszutauschen oder Kapitän Werth Fragen zu stellen.
Für Propst Wiechmann war der Tag ein voller Erfolg: „Wir haben gezeigt, dass Fehmarn ein sicherer Hafen ist – nicht nur im übertragenen Sinn, sondern im Herzen der Menschen.“
Pastorin Platzhoff blickte optimistisch in die Zukunft: „Integration ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Aber heute haben wir wieder ein Stück Weg gemeinsam zurückgelegt.“
Hintergrund: Der Arbeitskreis „Sicherer Hafen Fehmarn“ wurde 2021 gegründet und ist Teil der bundesweiten „Seebrücke“-Initiative. Fehmarn gehört zu über 360 Kommunen in Deutschland, die sich bereiterklärt haben, über gesetzliche Vorgaben hinaus Geflüchtete aufzunehmen.
Der Arbeitskreis sucht weiter Unterstützer – ob durch Spenden, ehrenamtliches Engagement oder einfach durch offene Begegnungen.
Menschen auf der Flucht | Ev.-Luth. Kirchen auf Fehmarn | Tel. 04371-2250
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